Der Preis fürs Wegschauen: April zeigt, wie verletzlich Europa wirklich ist
- 7. Mai
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Ein geopolitisches Beben erreicht Europa
Der April 2025 markiert mehr als nur den Beginn eines Quartals – er ist ein Wendepunkt. Was lange wie ein technisches Randthema erschien, hat sich mit Wucht in den Mittelpunkt des globalen Geschehens geschoben: die Versorgung mit kritischen Rohstoffen.Während China den Exporthahn zudreht, verschärfen die USA den Ton – und Europa steht zwischen den Fronten: verwundbar, unvorbereitet und in Teilen paralysiert. Was bisher als abstrakte Bedrohung galt, wird greifbare Realität. Lieferketten brechen, Produktionen stehen still, politische Reaktionen wirken zögerlich. Der Kipp-Monat April zeigt: Die neue Weltordnung ist bereits im Entstehen – wirtschaftlich, geopolitisch und psychologisch.
China zieht die Reißleine
Der Auslöser: Anfang April verschärft China ohne Vorwarnung die Exportkontrollen auf sieben sogenannte schwere Seltene Erden. Betroffen sind Elemente wie Dysprosium und Terbium, essenziell für Elektromotoren, Rüstungselektronik und Windkraftanlagen. Die Auswirkungen folgen auf dem Fuß: Europäische Konzerne aus der Auto-, Luftfahrt- und Halbleiterindustrie melden bereits nach Ostern erste Lieferausfälle. Auch bestehende Verträge bieten keinen Schutz – das Material bleibt im Hafen.
Hinzu kommt: Chinesische Zollbehörden sind mit der plötzlichen Neuregelung überfordert. Selbst Rohstoffe, die offiziell nicht sanktioniert sind, werden vorübergehend nicht freigegeben. Die strukturelle Abhängigkeit Europas tritt in aller Härte zutage. Alternativen? Fehlanzeige – jedenfalls nicht kurzfristig.
Handelskrieg ohne Rückfahrkarte
Zwischen China und den USA herrscht offene Konfrontation. Anstatt Gespräche zu suchen, überziehen sich beide Seiten mit Strafzöllen, Technologieblockaden und wirtschaftspolitischen Drohgebärden. Die Entdollarisierung wird offen diskutiert, ebenso wie Kapitalverkehrskontrollen. Europa droht dabei unter die Räder zu geraten – strategisch wie wirtschaftlich. Und während Peking und Washington die Welt neu sortieren, agiert die EU eher wie ein Zaungast als ein Mitspieler.
Ein symbolträchtiges Zeichen wäre ein erster Antrittsbesuch des neuen Bundeskanzlers in Peking – nicht in Washington. Wer jetzt nicht umdenkt, wird abgehängt.
Halbherzigkeit im Koalitionsvertrag
Der neue Koalitionsvertrag enthält ein Kapitel zu kritischen Rohstoffen – doch das fällt kürzer aus, als es die Realität verlangt. Zwar werden zwei strategische Projekte in Deutschland genannt, und auch der Rohstofffonds soll aufgestockt werden. Doch ein echtes industriepolitisches Bekenntnis fehlt. Es bleibt bei wohlklingenden Absichtserklärungen und europäischer Koordination – während andere längst handeln. Symbolpolitik ersetzt Substanz.
Still und heimlich: Das Vermögensregister kommt
Fast unter dem Radar der öffentlichen Debatte passiert ein weiterer Schritt mit hoher Brisanz: die Einführung eines nationalen Vermögensregisters. Die Regierung prüft explizit den staatlichen Zugriff auf Geld, Kunst, Gold und Wertpapiere.Technologiemetalle und Seltene Erden bleiben zwar (noch) außen vor – doch das Signal ist unmissverständlich: Der Zugriff des Staates auf privates Eigentum wird politisch vorbereitet. Für viele Investoren ein Weckruf.
Der Trump-Effekt: Flucht ins Reale
Mit der Wiederwahl Donald Trumps gerät die Weltwirtschaft zusätzlich ins Wanken. Die US-Währung verliert deutlich an Vertrauen, die Renditen auf Staatsanleihen steigen abrupt, und Gold überschreitet die psychologisch wichtige Marke von 3.200 US-Dollar je Unze.Kapital fließt in physische Werte – und zunehmend auch in strategische Metalle. Die Unsicherheit politischer Entscheidungen wird zur Triebfeder realer Anlageentscheidungen.
Chinas „nukleare Option“: Der Anleihenhebel
Eine der gefährlichsten Eskalationsstufen bleibt bisher unausgesprochen – doch sie liegt in der Luft: China könnte damit beginnen, große Mengen an US-Staatsanleihen auf den Markt zu werfen. Das hätte dramatische Folgen: Zinsschock, Dollarabwertung, Haushaltskrise. Das Vertrauen in den Westen als stabiler Finanzraum würde erschüttert – mit weltweiten Konsequenzen. Der Kipp-Monat April könnte sich als Vorbeben eines globalen Umbruchs entpuppen.
Ein Thema erreicht die Mitte der Gesellschaft
Erstmals rückte das Thema Rohstoffsicherheit im April in die breite Öffentlichkeit. Im Handelsblatt und im WDR 5 Wirtschaftsmagazin Profit durfte ich aktuelle Entwicklungen aus Sicht des Rohstoffhandels kommentieren. Die Reaktionen zeigen: Das Interesse ist da, der Handlungsdruck enorm. Was lange als Nischenthema galt, ist jetzt Teil der strategischen Realität von Unternehmen, Investoren – und Staaten.
Ausblick: Der Wettlauf beginnt
Im Mai ist keine Entspannung zu erwarten – im Gegenteil. Weitere Exportbeschränkungen, diplomatische Reibungen und ein wachsender Handlungsdruck auf europäische Unternehmen zeichnen sich ab. Die Industrie beginnt zu begreifen, dass die Rohstofffrage kein abstraktes Risiko, sondern ein akutes Problem ist.
Die Anfragen nach Lagerkapazitäten, Diversifikation und Preissicherung steigen rasant.Wer jetzt handelt, kann seine Produktion absichern.Wer zaudert, riskiert, zu spät zu kommen.
Fazit: Der April 2025 war kein Ausreißer – er war ein Wendepunkt. Die Frage ist nicht mehr, ob sich Europa unabhängiger aufstellen muss – sondern nur noch, wie schnell es gelingt.
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